John Payne, William Bishop, Gloria McGehee, Doe Avedon, Roy Roberts
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New York im Jahr 1919: Ein Transportschiff der US-Marine läuft in den Hafen ein und bringt Angehörige der US-Armee, die im Weltkrieg in Europa die Armee des Deutschen Kaiserreichs bekämpften, zurück in ihre Heimat… In der mittelgroßen Stadt Hartfield findet kurz darauf eine Militärparade statt, bei der Captain Matt Brady (John Payne) sein Regiment an Infanteristen vor die Bühne der Honoratioren führt, auf der auch sein deutlich älterer Bruder Tim Brady (Roy Roberts) einen Platz innehat. Direkt hinter Matt läuft sein Freund aus Kindertagen, Bob Herrick (William Bishop), der in Kürze sein Jurastudium wieder aufnehmen will, indessen er sich wie Brady Hoffnungen auf die hübsche Elsie Reynolds (Doe Avedon) macht, um die sie schon vor ihrer Militärzeit buhlten. Der neben Herrick das Gewehr schulternde Hamhead (Bob Morgan) hasst Matt Brady von Herzen und kündigt an, ihm den Kiefer zu zerschlagen, sobald er aus der Armee entlassen sein werde, was am darauffolgenden Tag der Fall sein wird. Als die Soldaten vor der Tribüne mit den Stadtoberen ankommen, ruft Elsie vom Straßenrand aus seinen Namen, und Matt Bradys Gesicht heitert sich erstmals auf. Nachdem er die Soldaten zum Halten brachte, dreht letzterer sich zu Bob herum und kündigt ihm leise an, dass er Elsie in ihrer beider Namen begrüßen werde. Sodann begibt er sich zu der hübschen Lehrerin, schließt sie in die Arme, und die beiden küssen sich leidenschaftlich. Bob Herrick steht in Reih und Glied und ist gezwungen zuzusehen…
Das Skript, an dem u.a. der heute hoch verehrte und in der McCarthy-Ära 1947 durchs House Committee on Un-American Activities (HUAC) zu einer Haftstrafe verurteilte und mit Berufsverbot belegte Drehbuchautor Dalton Trumbo (Gefährliche Leidenschaft, USA 1950) mitwirkte, ist hoch politisch. Es ist eine Warnung vor Größenwahn, Materialismus und Korruption in den Vereinigten Staaten. Um zu dem Zeitpunkt seiner Premiere die Zensur zu passieren, maskierten die Filmschaffenden The Boss als historisches Drama, das in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts angesiedelt ist. Tatsächlich geht es um eine universelle Botschaft: Die US-amerikanische Demokratie kann durch die Machtfülle Einzelner, basierend auf Gier und Maßlosigkeit, ausgehöhlt werden, wenn ein “Boss“ dank seines Reichtums Einfluss auf die Politik nimmt und den Rechtsstaat (zumindest zu Teilen) lahmlegt. Solche Botschaft klingt 70 Jahre später brandaktuell, zumal in The Boss die juristischen Instanzen der US-Demokratie sich zuletzt als wehrhaft und als intakt erweisen, in der heutigen Realität aber längst nicht mehr. Leider setzt der Film diese Botschaft nicht adäquat in Szene, gewinnt er nicht jene Glaubwürdigkeit, die ihn 1956, unmittelbar nach dem Ende der McCarthy-Ära und ihrem faschistoiden Nationalismus, zu einem Schlüsselwerk der Zeit hätte werden lassen können. Zwischen dem Anspruch des Skripts (Trumbo bleibt im Vorspann natürlich ungenannt, nur Co-Autor Ben Perry ist gelistet) und dem finalen Film liegen Welten. Das hat viele Gründe. Als ersten, für mich persönlich wichtigsten wäre die Besetzung der Hauptrolle zu nennen. Als egomanischer und empathieloser Emporkömmling Matt Brady, als The Boss agiert John Payne. Für mich ist er, der sich seit 1947 als Antiheld des Film Noirs von seinem Image als Musical-Luftikus zu befreien suchte, der Steven Seagal der 40er und 50er. John Payne hatte ein extrem limitiertes Repertoire an darstellerischem Ausdruck und spielte immer die gleiche Tough-Guy-Persönlichkeit. Unterm Strich ist er kein guter Schauspieler, ähnlich wie George Raft, nur dass sein Markenzeichen das Over-Acting war. Allein seinetwegen fiel es mir schwer, die knapp 90 Minuten des Dramas am Stück anzuschauen. Mehrfach fragte ich mich, wie der Film mit Robert Ryan, Edward G. Robinson oder Broderick Crawford geworden wäre – mit einem, der die Schauspielkunst beherrschte.
”I got the city in the bag. Another couple of years I’ll have most of the state.” Indessen die Ränkespiele auf den Bühnen von Business und Politik allemal gelungen sind, gerät die Darstellung von Matt Bradys Privatleben wenig überzeugend. Trotz hochwertiger Leistung seitens William Bishops, Gloria McGehees und Roy Roberts wirkt das meiste davon extrem gestelzt und konstruiert. Byron Haskins The Boss markierte den Beginn einer Serie von Gangsterfilmen, die die 20er Jahre und die Zeit der Weltwirtschaftskrise bebilderten. So enden sie alle (USA 1957), Der Gangsterkönig von New York (USA 1958), Mädchen aus der Unterwelt (USA 1958), Al Capone (USA 1959), Die gnadenlosen Killer (USA 1960) und Unterwelt (USA 1960) folgten ihm nach. Ist The Boss, der in den USA via Kino Lorber in der Serie KL Studio Classics erstmals 2022 in einer exzellent restaurierten Fassung im 3-BD-Boxset Film Noir: The Dark Side Of Cinema VII auf Blu-ray disc erschien, überhaupt ein Film Noir? Nach meiner Einschätzung nur teilweise. Matt Brady ist ein Schurke, nicht ansatzweise so doppelbödig wie etwa James Cagney als Tom Powers in William Wellmans The Public Enemy (USA 1931), sondern im Grunde simpel gestrickt, unsympathisch, dämlich. Es gibt keine Femme fatale, keinen Erzähler aus dem Off und so gut wie keine Ambivalenz. Erst als Matt Brady im letzten Drittel des Films endgültig in kriminelle Machenschaften verwickelt wird, erweist sich der Film auch atmosphärisch als dicht. Zu dem Zeitpunkt war ich selbst längst nur gelangweilt.
Wie erwähnt, ist Byron Haskins The Boss in der 3-BD-Box Film Noir: The Dark Side Of Cinema VII (2022) beinhaltet und zwar in einer bild- und tontechnisch hochwertigen 2K-Restauration, ungekürzt im Originalformat mit englischem Ton inklusive optional englischer Untertitel und inklusive einer Einführung in den Film durch Buchautor und Filmhistoriker Alan K. Rode. Die gleiche Edition erschien inzwischen in den USA auch als einzelne BD-Ausgabe, nachdem sie zuvor via Metro-Goldwyn-Meyer in deren Limited Edition Collection als DVD-R (2011) erschienen ist.











