Mišel Matičević, Marie Leuenberger, Alexander Fehling, Tim Seyfi, Marie-Lou Sellem
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Über die Bundesautobahn 40 gelangt der Berufskriminelle Trojan (Mišel Matičević) in Essen im Ruhrgebiet in eine außerhalb des Zentrums gelegene Villengegend. Hier parkt er seinen 1996er BMW 5 in der Nähe eines modernen, mondänen Hauses und wartet in der Dunkelheit, bis dessen Lichter erlöschen und die Bewohner mit ihrer Limousine aus der Einfahrt fahren. In aller Ruhe zieht er sich Stoffhandschuhe an, greift sich eine Taschenlampe und bricht über die Terrassentür ins Haus ein. Im oberen Stock findet er schnell, wonach er sucht, eine Schatulle mit kostbaren Armbanduhren. Am nächsten Morgen wartet Trojan in einem Imbisslokal vor einem Kaffee auf seinen Käufer (Till Wonka), der etwas verspätet eintrifft und die Anwesenheit eines zweiten Mannes damit begründet, dass er seinen Führerschein los sei und einen Fahrer brauche. Doch als Trojan ihm auf dem Parkplatz seine Ware zeigt, versucht der Hehler eine Pistole zu ziehen, wird allerdings von Trojan überwältigt, der auch den zweiten Mann, der inzwischen auftauchte, in Schach hält. Er zwingt den Betrüger den Umschlag mit dem Geld in den Kofferraum zu werfen und fährt davon. Als er in dem billigen Hotel eintrifft, das ihm Unterschlupf bietet, stellt er fest, dass der Umschlag kein Geld sondern nur Papier beinhaltet. Trojan blickt aus dem Fenster auf eine Industriebrache, packt seine Tasche und steigt ins Auto. Es ist Herbst und bereits dunkel, als er über die Stadtautobahn nach Berlin, in die ihm wohlvertraute Stadt zurückkehrt, aus der er vor 12 Jahren fliehen musste...
„Verbrannte Erde ist ein hochspannender, wendungsreicher Film noir, (…) das Porträt eines unauffälligen, wortkargen, (…) im Verborgenen agierenden Helden“, schreibt Pitt Herrmann für filmportal.de über Thomas Arslans zweiten Neo Noir mit Trojan, einen professionellen Dieb, der erstmalig in Arslans Im Schatten (GER 2010) auftrat. Abgesehen davon, dass Trojan ein Antiheld und keine Heldenfigur ist, kann ich der Einschätzung nur zustimmen. Porträtiert werden neben Trojan auch andere Kriminelle, ihre Beziehungen zueinander, ihre Arbeitsweise und vor allem ein Ort, nämlich die bundesdeutsche Hauptstadt Berlin. Für mich ist Verbrannte Erde der beste Berlin-Film der letzten 15 Jahre: ein präzises, scharfsinniges Porträt der Metropole, neben dem der aufwendige und teure CGI-Zauber von Babylon Berlin (GER 2017-2022) zur hyper-romantischen Posse verkommt. Spröde, kühl, klar und hart – das sind Adjektive, die mir zu diesem Meisterstück eines Neo Noirs einfallen und die auch von anderen Kritikern zu Hilfe genommen wurden, um die atmosphärische Dichte des Werks zu beschreiben. Zwölf Jahre nachdem er in der Schlusssequenz von Im Schatten (GER 2010) Berlin den Rücken kehrte, ist Trojan zurück und steigt über seinen Kontakt Rebecca (Marie-Lou Sellem) in einen Raubüberfall ein. Ein Gemälde Caspar David Friedrichs, das für eine Ausstellung als Leihgabe in die Hauptstadt kam, liegt in einem Depot für den Rücktransport bereit. Ein privater Sammler bietet 1,4 Millionen Euro, sollte es von dort in seinen Besitz gelangen. Was folgt, ist mit Blick auf den Handlungsverlauf vom klassischen Film Noir à la John Hustons Asphalt-Dschungel/Raubmord (USA 1950) oder Jules Dassins Rififi (FRA 1955) inspiriert. Thomas Arslan erwähnte anlässlich der Premiere letzteren in einem Interview, zudem Jean-Pierre Melvilles Vier im roten Kreis (FRA/ITA 1970), und auch das wundert mich nicht. Wenn es heute jemanden gibt, der das Erbe des großen Melvilles kongenial und eben nicht epigonenhaft fortsetzt, ist es Thomas Arslan mit Im Schatten (GER 2010) und mit Verbrannte Erde. Er weiß nicht nur, was er will. Er setzt es auch schnörkellos um.
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Dazu braucht es Stilwillen und Stilbewusstsein, davon lebt der Kinofilm, und genau da kommt Berlin ins Spiel. Zunehmend konturlos und mittelmäßig präsentiert sich die von Allerweltsarchitektur und Nivellierung geprägte Hauptstadt des 21. Jahrhunderts, die bis in die 90er Jahre als Kosmos des Wandels und Aufbruchs galt, nach der Jahrtausendwende aber von Habgier und Biedersinn auf bundesdeutsche Standards zurechtgestutzt wurde. Lagerhallen, Parkhäuser, Budget Hotels, Baustellen, Büroetagen, Industrieruinen, Straßentunnel, Gleisanlagen – Berlin ist eine monströse Hässlichkeit, die vom Essen des Auftakts nur durch die Wegweiser ihrer Stadtautobahn unterscheidbar wird. Dennoch wird sie von Thomas Arslan und Kameramann Reinhold Vorschneider (Der Räuber, GER/AUT 2010) in fein und bewusst stilisierte Bildkompositionen eingepasst, so dass man sich nicht vorstellen könnte oder wollte, dass der Film an einem anderen Ort als in Berlin spielte. Ach ja, noch etwas hat er mit dem französischen Film Noir der klassischen Ära gemeinsam. Einzig dieser letzte Coup, sagt Luca (Tim Seyfi), ein alter Weggefährte Trojans, sich selbst und seiner Frau (Anja Schneider), dann ist Schluss. Die Spannung, welche Pitt Hermann hervorhebt, wurzelt in Arslans Minimalismus selbst, ergibt sich aus jener Ökonomie der Handelnden – wenig Dialog, kühle Konzentration und hohe Disziplin, bis es heißt: „Wir haben ein Problem.“ Sensationell gut, derart bewerte ich diesen Neo Noir, der im bundesdeutschen Kinoschaffen schon heute eine Ausnahmestellung einnimmt. Unbedingt ansehen!
Es gibt eine fein editierte DVD-Edition (2024) der Piffl Medien GmbH im Vertrieb von good!movies, bild- und tontechnisch topp, ungekürzt im Originalformat, die deutsche Tonspur mit wahlweise deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte und auch mit englischen, was mit Blick auf ein Publikum ohne Deutschkenntnis vorbildlich ist. Der Kinotrailer und ein 12-seitiges Booklet mit Filmfotos und einem Interview mit Autor und Regisseur Thomas Arsland bilden die Extras.