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"Film noir - das impliziert unabwendbar Stil und Stimmung, aber zuallererst eine besondere Sichtweise auf die Welt, eine pessimistische, zynische oder nihilistische Sichtweise." (Norbert Grob, in: Filmgenres - Film noir, 2008)
 
Der Film Noir ist selbst aus der Literatur in Pulpmagazinen wie Black Mask hervorgegangen. Dashiell Hammett, Raymond Chandler, James M. Cain und Cornell Woolrich waren seit Beginn der 1930er Jahre die Autoren seiner Vorlagen. Für viele Filmhistoriker endet die Ära des klassischen Film Noirs im Jahr 1958 mit Orson Welles’ Im Zeichen des Bösen. Stilistisch und thematisch beeinflusste er aber nicht nur aus ihm entstandene Entwicklungen des Films wie z.B. den Neo Noir sondern wirkte weit darüber hinaus. Über die Jahrzehnte entwickelte sich der Film Noir zu einem Kulturphänomen, das einen Stil und eine Weltanschauung markiert.
 
Besonders deutlich zeigt sich das in der Popkultur. So wurden die Strömungen des Punk und der New Wave ästhetisch sowohl vom Dadaismus als auch vom Expressionismus beeinflusst. 1978 benannte sich eine kanadische Punkband nach Rudolf Matés Film Noir des Jahres 1950 D.O.A.  – ausgeschrieben Dead On Arrival. Der Regisseur Amos Poe, u.a. für die Punkdokumentation The Blank Generation (USA 1976) bekannt, nutzte für seinen Neo Noir Subway Riders (USA 1981) den Saxofonisten John Lurie als Darsteller. Der war zugleich Kopf der Lounge Lizards, einer Jazzband der No-Wave-Strömung, die den Kleidungsstil und die Musik der Film-Noir-Ära recycelte. Bereits 1980 war John Lurie im Debütfilm von Jim Jarmusch, betitelt Permament Vacation, aufgetreten, dem sich Amos Poes New-York-Porträt durchaus verwandt zeigt. Im gleichen Jahr hatte Deborah Harry, Sängerin der Band Blondie, die weibliche Hauptrolle in dem Neo Noir Union City (USA 1980) gespielt.
 

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Internationale Fiilmfestivals: Plakate für eine Retrospektive in Italien, für ein Programm britischer Klassiker (2009) in New Yorks Film Forum und für Noir City (2020) in San Francisco, USA.
 
Nicht bloß Kleidung und Accessoires fungierten als quasi romantisches Retro-Design der Vierziger und Fünfziger wie etwa bei der Popband Heaven 17, die sich 1982 für ihr schwarzweißes Musikvideo zu Let Me Go explizit vom Film-Noir-Stil inspirieren ließ. Ebenso korrespondierte die nihilistische Grundhaltung vieler Film-Noir-Plots mit der Weltanschauung internationaler Subkultur. Erst der Brite Peter Hammill (1983) und dann die kalifornische Band Savage Republic (1984) benannten Musikstücke schlicht Film Noir. 1986 brachte die New Yorker Formation The Golden Palominos ihr Album Blast Of Silence heraus und dankte auf dessen Cover u.a. dem Regisseur des gleichnamigen, düsteren Post Noirs aus dem Jahr 1961, Allen Baron. Im Gegenzug bewies der Neo Noir aus Hollywood seine Nähe zur Popkultur z.B. mit David Lynchs Blue Velvet (USA 1986), dessen gleichnamiges, im Film beinhaltetes Jazzstück (ursprünglich von 1950) in jener Zeit des Jazz-Revivals erneut zum Hit avancierte. Und die Entwicklung dauert an. 2009 brachte Brian Setzer seine orchestrierten Songs From Lonely Avenue, die in Gestaltung und Inhalt eine Hommage an die Zeit des Film Noirs darstellen – mit Titeln wie Dead Man Incorporated und Kiss Me Deadly.
 
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Von orchestraler Filmmusik zum Jazz: als Retrospektive (2013), als Neuinterpretation (Carlos Franzetti, 2008) oder als Hommage (Elitza Harbova, 2017) findet der Film Noir stets ein Echo.
 
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Film Noir in der populären Musik: das Comeback von Jazzsängerin Audrey Morris (1989), das Pop-Trio Heaven 17 im Retro-Look (1982) und Peter Hammills Single Film Noir (1983).
 
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Film Noir in der Comic-Kultur und in der Sachliteratur: Bilderwelten von Bernard Seyer (1992) und Jacques Tardi (1988), Fachbücher von David Butler (2002) und Michael F. Keany (2010).
 
Es sind derlei Kulturströme, daraus Autoren, Regisseure und Darsteller wie Quentin Tarantino, John Dahl oder Billy Bob Thornton entsprangen, die ihrerseits im Neo Noir Fuß fassten. Zeitgleich gab es im Bereich der Grafik als Plakatkunst oder im Feld der Comic Strips Zeichner und Autoren, die von den klassischen Film-Noir-Regisseuren und ihren Kameraleuten beeinflusst wurden. Jacques Tardis Comicfassung des Romans 120, Rue de la Garde von Leo Malét (EA 1943) lässt den Filmstil des französischen Poetischen Realismus’ der Spätdreißiger und der Frühphase des Film Noirs erkennen. Am bekanntesten dürfte Frank Miller mit seiner 1991/92 erschienenen Serie Sin City sein, deren Verfilmung einzelner Episoden 2005 als Neo Noir vermarktet wurde. Der signifikante Verzicht auf Grautöne findet sich zugleich im Animationsfilm Renaissance (FRA/UK/LUX 2006), einem der wenigen animierten Neo Noirs. Ihm folgte 2007 ein schlicht Film Noir betitelter Animationsfilm, der sich neben Stilzitaten des Themas der Amnesie annimmt, das sich im Film Noir ab 1946 häufig findet. Dazu hat der Film Noir Einfluss auf die japanischen Animationsstudios gezeigt, wo sich unterm Stichwort Tech Noir neue Richtungen ausbilden.
 
Eddie Muller, Gründer der Film Noir Foundation in San Francisco, die ihrerseits das jährliche Festival Noir City initiiert, hat in seinem Buch Dark City: The Lost World of Film Noir (1998) die kulturübergreifende Relevanz des Film Noirs aus der Perspektive eines in der weltanschaulich geprägten Subkultur tief Verwurzelten mit Wortwitz und mit Augenzwinkern geschildert. Trotz der Flut von Büchern, Filmen und sonstigen Medien zum Film Noir fühlen sich deren Bewohner in den Schatten ihrer Welt nämlich am wohlsten.