Steven Geray, Micheline Cheirel, Eugen Borden, Ann Codee, Egon Brecher
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© Columbia Pictures Corporation
Paris, Frankreich: Im Bureau de la sûreté der Prefecture de Police nimmt Commissaire Roger Grande (Gregory Gaye) einen Telefonanruf entgegen, doch hat man den gesuchten Kriminalbeamten Henri Cassin (Steven Geray) noch immer nicht gefunden. Bereits vor einer Stunde hätte jener, in Roger Grandes‘ Mordkommission deren bester Mann, wie der Commissaire dem just eingetroffenen Gerichtsmediziner Dr. Manet (Jean del Val) mitteilt, von Philippe (Billy Snyder), dem Chauffeur in Diensten der Polizei, nach Saint Margot im Süden des Landes gefahren werden sollen. Hier soll der berühmte Detektiv seinen ersten Urlaub in 11 Jahren antreten… Indessen ist Henri Cassin auf einem Spaziergang durch sein Viertel, kauft bei einer Kiosk-Inhaberin (Adrienne D'Ambricourt) eine Tageszeitung, gibt dem Schuhputzjungen (Cynthia Caylor) ein Almosen, nachdem er sich nicht hat die Schuhe wienern lassen und betrachtet die Auslagen einer Blumenhändlerin (Nanette Bordeaux). Als er in Grandes‘ Büro eintrifft, ist man erleichtert, dass er nun endlich seinen Urlaub wird antreten können, zugleich über seine exzentrische Manier, sich ohne Blick auf die Uhr noch von Paris zu verabschieden, nicht sonderlich erstaunt… Als Henri Cassin mit Philippe hinter dem Steuer eines gewaltigen 1936er Lagonda LG45 Tourer mit offenem Verdeck in der Kleinstadt Saint Margot eintrifft, sehen einige Bewohner verstohlen aus ihren Fenstern, nicht zuletzt Nanette Michaud (Micheline Cheirel), die erwachsene Tochter der Wirtsleute im Gasthof Le Cheval Noir…
“Both Mama and Nanette embody noir female archetypes fascinated with material things they "deserve," as well as women intent on breaking away from the patriarchal system that dictates who women should marry”, schlussfolgert Eric Somer für Film Noir Board in einer der wenigen Rezensionen des Films, welche die Handlung solcher B-Produktion der Columbia Pictures genauer unter die Lupe nahmen. Henri Cassin ist ein Pariser Kriminalbeamter in mittleren Jahren. Tatsächlich war Steven Geray, dessen Cassin im Film mehrfach als “old man“ eingestuft wird, 41 Jahre alt und Micheline Cheirel immerhin schon 29. Denn Cassin, erstmals seit über einem Jahrzehnt wieder Privatmann und damit einzig Mensch, verliebt sich in Nanette Michaud, die in ihm das Ticket zu einem glamouröses Leben in Paris erkennt und in ihrem Materialismus von der eigenen Mutter (Ann Codee) dazu angestachelt wird, den berühmten Herrn zu verführen. Ihre Alternative wäre der schichte Bauer Leon Achard (Paul Marion), dem Nanette seit Kindertagen versprochen ist und der sie seinerseits aufrichtig liebt. Aber das Ganze ist eine Farce, so wie Joseph H. Lewis‘ Film selbst eine bitterböse und pointierte Farce ist. Denn man sieht Micheline Cheirel ihr Alter ebenso an wie dem 30-jährigen Paul Marion, die sich von den Wirtsleuten im Le Cheval Noir stets wie Kinder behandeln lassen. Vor allem aber mutiert Henri Cassin, angeblich ein begnadeter Polizist, auf dem ungewohnten Pfad seines Privatlebens zum postpubertären Teenager an der Grenze zur Blödigkeit. Das macht die ersten 30 Minuten, während uns Zuschauern noch nicht klar ist, wie Lewis uns damit hinters Licht führt, teils schwer erträglich. Erst im Nachhinein sehen wir die von Einfalt und Biedersinn, von speichelleckerischer Höflichkeit bis ins Extrem getriebene Spießigkeit der Exposition mit anderen Augen. In der 34. Minute wird die erste Leiche gefunden, und der Film erfährt eine radikale Wendung.
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© Columbia Pictures Corporation
“Leon thinks only of his farm. But we… we could have a wonderful time in Paris, you and I.“ Warum spielt die US-amerikanische Produktion, welche auch franzlösche Darstellerinnen und Darsteller im US-amerikanischen Exil ins Ensemble verpflichtete, überhaupt in Frankreich? Zum ersten mag die literarische Vorlage, eine Kurzgeschichte des in Großbritannien gebürtigen Aubrey Wisberg (Escape In The Fog, USA 1945) als Spitze gegen den ewigen Rivalen seiner Heimat, gegen Frankreich und dessen fiktive Mordermittler à la Kommissar Jules Maigret oder Monsieut Lecoq verstanden werden. Zum anderen hätte die von Joseph H. Lewis sarkastisch zugespitzte Bloßstellung der bis ins Mark verlogenen, materialistischen Bourgeoisie kaum in einer Kleinstadt in den USA angesiedelt sein können. Denn die Habgier von Mutter und Tochter, all die Lockungen gesellschaftlichen Lebens in der Metropole, welche sie allzu offensichtlich zu ihrer Strategie der Verführung Cassins anstacheln, fordert des Schicksals Rache heraus… Zu guter Letzt erwähnenswert ist unbedingt Kamera-As Burnett Guffey (Ein einsamer Ort, USA 1950), über Jahrzehnte einer der besten bei Columbia Pictures. Der mit einem nicht von allen Cineasten geschätzten, biestigen Widerhaken versehene So Dark The Night ist kein herkömmliches Kriminaldrama, sondern eine cleverer und bissiger Film Noir, der aufgrund des wieder erstarkten Interesses am Filmstil nach Jahrzehnten aus seiner Obskurität erlöst wurde. Sehenswert!
Eine hochauflösende Blu-ray disc (1080 p) von Arrow Videos (2019), Großbritannien, in deren Reihe Arrow Academy bietet den Film in einer für eine solche B-Produktion herausragenden Edition. Neben der ungekürzten sowie bild- und tontechnisch exzellenten Restauration im korrekten Bildformat zählen dazu optional englische Untertitel, Audiokommentare der Filmkritiker Glenn Kenny und Farran Smith Nehme, ein Feature mit einer Filmanalyse der US-Autorin Imogen Sara Smith, der original Kinotrailer und ein Booklet mit Filmfotos und mit einem Essay von Filmjournalist David Caims. Alternativ dazu kamen sowohl in Großbritannien als auch unterm Titel Nuit de Terreur in Frankreich jeweils eine DVD (2017) des Werks heraus, ebenfalls ungekürzt und im richtigen Bildformat, bild- und tontechnisch fein aufgearbeitet. In Deutschland lief der Film weder im Kino noch im Fernsehen, auch gibt es ihn hierzulande nicht als BD oder als DVD.