John Carradine, J. Carrol Naish, Maris Wrixon, Edwin Maxwell, Terry Frost
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San Francisco, Kalifornien: An einem nebligen, kühlen Abend verlässt im Distrikt Waterfront der Optiker Dr. Karl Decker (J. Carrol Naish) sein Ladenlokal und platziert im Schaufenster ein Schild, das wissen lässt, er sei um 20:00 Uhr zurück. Zur gleichen Zeit verlassen zwei betrunkene Matrosen (Dick Curtis, Fred Aldrich), die in der Nähe befindliche Hafenkneipe The Anchor Bar. Plötzlich werden sie stutzig und blicken auf die andere Seite des Platzes, wo im Zwielicht der Straßenlaternen Dr. Decker von einem arbeitslosen Hafenarbeiter, Adolph Mertz, mit vorgehaltener Pistole ausgeraubt wird. Die beiden rufen um Hilfe; aus der Kneipe strömen Gäste und Kellner herbei und schließlich ein Polizist, der im Bezirk Streife läuft. Mertz hat sich aus dem Staub gemacht, und der Beamte winkt Dr. Decker herbei, der nach Aussage der Matrosen soeben Opfer eines Überfalls wurde. Zur Überraschung der Zeugen bestreitet Decker das und weist darauf hin, dass die Herren aufgrund der Wirkung des Alkohols oder einer Sehschwäche, bei der ihnen zu einer Untersuchung riete, schlicht fantasiert hätten. Sowohl der Polizist, der Decker als ehrenwerten Bürger kennt, als auch die übrigen Anwesenden, pflichten ihm bei, so dass die Trunkenbolde sich verkrümeln. Tatsächlich ist Decker ein Spion des Dritten Reichs und wurde von Mertz um ein Büchlein erleichtert, dass der Dechiffrierung codierter Nachrichten dient. Als er später am Abend vom Gestapo-Agenten (John Carradine) einen Brief überbracht kriegt, weiht er ihn in seine Notlage ein…
Einige der noch zur Zeit des Zweiten Weltkriegs entstandenen Film Noirs (“Wartime Noir“) beinhalten die Spionage des Dritten Reichs als Kriegspartei – Frank Tuttles Die Narbenhand (USA 1941), Richard Wallaces The Fallen Sparrow (USA 1943) oder Fritz Langs Ministerium der Angst (USA 1944). Sogar manche der erst nach dem Krieg entstandenen Klassiker des Filmstils fokussieren sich darauf, wie etwa Alfred Hitchcocks Weißes Gift / Berüchtigt (USA 1946) oder Cyril Endfields The Argyle Secrets (USA 1948). Im Kontext, der solche Werke in die Nähe der sogenannten Propagandafilme rückt, gehört Waterfront neben Burt Boettichers Escape In The Fog (USA 1945) leider zu den schlechtesten derer, die ich kenne. Von Anbeginn stellte sich mir die Frage: Was treiben zwei exzellente Schauspieler wie J. Carrol Naish und John Carradine in einer B-Produktion, deren Skript so lustlos Klischees und so holprig und unglaubwürdig in der Handlungsentwicklung deren Ereignisse aneinanderreiht, wie es hier der Fall ist? Weder Regisseur Steve Sekely noch sein Kameramann sind dafür verantwortlich, sondern die Autoren Martin Mooney und Irwin Franklyn, die ihrem Publikum hanebüchene Dialoge und abstruse Verwicklungen servieren, welche ganz offensichtlich nur die Geschichte auf Gedeih und Verderb voranbringen sollen. Spätestens wenn Jerry Donavan (Terry Frost) nach einer geradezu lächerlichen Koinzidenz unter Mordverdacht gerät und Police Detective Marten Lamont (Mike Gorman) ihn nach einem nächtlichen Verhör erschöpft und erzürnt als Hauptverdächtigen bezeichnet, indessen Donavan, gegen den kein einziger stichhaltiger Indizienbeweis vorliegt, entspannt und ruhig bleibt, kann man sich als Zuschauer bloß noch die Haare raufen. Das ist so miserabel geschrieben und so lausig gespielt, dass es damit für mich den Film endgültig ins Abseits manövrierte.
“Waterfront (…) does, however, benefit from a noir-like atmosphere and some exceptionally well-filmed sequences”, versucht sich Jonathan Lewis für Mystery*File an einer Ehrenrettung, indem die teils guten Leistungen von Kameramann Robert E. Cline, zwischen 1925 und 1947 drehte jener 150 (!) Filme, und das Talent John Carradines hervorhebt. Für mich konnten derlei Einzelaspekte den Mumpitz im Ganzen allerdings nicht retten. Der US-Schauspieler Fred Aldrich, der in 31 Jahren in 334 (!) Film- und Fernsehproduktionen eine Neben- oder Statistenrolle innehatte und kein einziges Mal in Vor- oder Abspann genannt wurde, wirkte 1944 noch in einem anderen Drama über Deutschland unter der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus‘ mit, in William Cameron Menzies Address Unknown (USA 1944). In diesem u.a. mit deutschen Auswanderern - Peter van Eyck, Erwin Kalser, Frank Reicher – besetzten Drama werden Willkür und Gewalt im Dritten Reich und die uneingeschränkte Macht seiner Geheimpolizei deutlich drastischer und um vieles eindrücklicher geschildert. Von einer derartigen Qualität ist der banale Kriminalfilm Waterfront weit entfernt, lassen J.Carrol Naish und John Carradine auch hin und wieder ahnen, um wie vieles besser er hätte werden können. Lange Rede, kurzer Sinn: Dieses Machwerk der PRC (Producers Releasing Corporation) sollte man auch als Cineast der Filmklassik besser meiden.
Waterfront ist ein Film der Public Domain, ungekürzt und im Originalformat als DVD via Alpha Home Entertainment eine Edition (2003) aus den USA (RC 0), bild- und tontechnisch von miserabler Qualität inklusive der original englischen Tonspur ohne Untertitel und ohne Extras.