Helsinki Napoli All Night Long

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Helsinki Napoli All Night Long
Kategorie
Neo Noir
Land
FIN/SUI/GER
Erscheinungsjahr
1987
Darsteller

Kari Väänänen, Roberta Manfredi, Jean-Pierre Castaldi, Margi Clarke, Nino Manfredi

Regie
Mika Kaurismäki
Farbe
Farbe
Laufzeit
93 min
Bildformat
Widescreen

 


 

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West-Berlin im Jahr 1987 an einem trüben Freitag, dem dreizehnten: Zwei Gangster (Gerry Jochum, Hans Baer) sind in ihrem Hotelzimmer auf der Potsdamer Straße noch mit der Morgentoilette befasst. Als die Prostituierte Mara (Margi Clarke) sich auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle, der Lolita Bar, befindet, stößt sie mit den beiden zusammen, die sich fürs Anrempeln allerdings nicht bei ihr entschuldigen… In dem menschenleeren, neonbeleuchteten Korridor eines Bürogebäudes treten die Gangster durch eine Glastür und gehen zielstrebig in ein luxuriös eingerichtetes Büro. Hier werden sie von einem älteren Gangster (Eddie Constantine) und dessen Helfer (Sakari Kuosmanen) empfangen; hinter seinem Schreibtisch thront der Boss (Samuel Fuller). Die jungen Gäste möchten für das Geschäft, das sie abwickeln werden, keine Zeugen, und der Boss muss seine Mitarbeiter aus dem Raum schicken. Erst dann holt der eine unter seinem Jackett einen Bauchgurt mit Päckchen Kokains hervor und wirft ihn auf den Schreibtisch. Der Boss überzeugt sich von der Qualität der Ware und öffnet eine Schublade, um zu bezahlen. Aber in dem Augenblick zückt der zweite eine Pistole mit Schalldämpfer und erschießt den Alten. Die beiden fliehen durch eine Geheimtür, aber schon richtet sich der Boss wieder auf, um die schusssichere Weste unter seinem Hemd auszuziehen… Am Landwehrkanal hilft indessen der Taxifahrer Alex (Kari Väänänen) seinem russischen Freund Igor (Jean-Pierre Castaldi) einen Lastkahn zu Wasser zu lassen…

 

„It is high paced and giddy, and it has a bit of Scorsese's After Hours in it, and it does seem to be a predecessor of 90s noir”, liest man von Duke Manga Man auf IMDB.com und es ist das beste Urteil in solch komprimierter Form. Wie der Filmtitel andeutet, spielt die Handlung großteils in einer einzigen Nacht und zwar im Westen der seinerzeit geteilten Metropole Berlin, also weder in Helsinki noch in Neapel, woher zwei der zentralen Protagonisten stammen, die im Film durch den Bund der Ehe vereint sind. Die gegensätzlichen Charaktere sind nicht nur Mann und Frau sondern obendrein auch noch Vater und Mutter. Der Vergleich mit Martin Scorseses Die Zeit nach Mitternacht (USA 1985) ist triftig, denn auch jener spielt in nur einer Nacht, würzt seinen Film-Noir-Plot mit Zutaten der schwarzen Komödie und ist an keiner Stelle des Handlungsverlaufs vorhersehbar. Dies macht auch den Reiz von Mika Kaurismäkis trockener Hommage an den klassischen Film Noir und an den Gangsterfilm aus, dass er seinen Figuren nämlich lange Leine lässt, die im Zug der vielen Verwicklungen, die sie aneinander ketten, außer Rand und Band geraten. Der finnische Regisseur, Bruder des heute populäreren Aki Kaurismäki, lag damit im Trend einer Zeit, die das Erbe des Film Noirs für den Independentfilm entdeckte und sich vor allem an dessen sardonischem Humor ergötzte. Neben dem genannten Werk Martin Scorseses waren es Filme wie François Truffauts Auf Liebe und Tod (FRA 1983), Joel und Ethan Coens Blood Simple - Eine mörderische Nacht (USA 1984) oder Jean-Luc Godards Détective (FRA/SUI 1985), die für den biestig witzigen Berlin Noir Helsinki Napoli All Night Long die Blaupause lieferten. Andererseits ist die Kombination von Groteske und Noir immer auch riskant, wie missglückte Versuche à la Diamantenfieber / Trouble In Mind (USA 1985) oder Harte Männer tanzen nicht (USA 1987) belegen. Aber nicht zuletzt ein extremes Ensemble sorgt für das Gelingen des ganz und gar ungenierten Experiments.

 

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“Someone recently told me that we’re married and living together. He even said that we have twins.” Die US-amerikanische Regielegende Samuel Fuller (Der nackte Kuss, USA 1964) und der durch die Rolle des Lemmy Caution bekannt gewordene Eddie Constantine (Im Banne des blonden Satans, FRA 1953) geben die ohne jegliche Würde gealterten Gangster. Der italienische Komödiant Nino Manfredi (Wir hatten uns so geliebt, ITA 1974) ist ebenso mit von der Partie wie die Autorenfilmer Wim Wenders (Der amerikanische Freund, GER/FRA 1977) und Jim Jarmusch (Dead Man, USA/GER/JPN 1995) sowie der Franzose Jean-Pierre Castaldi (French Connection II, USA 1975) und die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach (Die Leiden des jungen Werthers, GER 1976). Natürlich gibt es eine gehörige Portion Zeitgeist und Subkultur, - leider ist die Begleitmusik trotzdem unauffällig fade - aber dergleichen dominiert nicht mit heiligem Ernst ein Geschehen, das keine Gelegenheit zum Augenzwinkern auslässt. Zu guter Letzt profitiert der Film von der Kameraarbeit Helge Weindlers (Rendezvous in Paris, FRA/GER 1982) und den Schauplätzen im West-Berlin vor der Wiedervereinigung. Genau 30 Jahre später, da Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz fast schon über die Maßen in Mode gekommen ist, frage ich mich, wieso solcher Neo Noir, darin das urbane Szenario eine zentrale Rolle innehat, hierzulande völlig in Vergessenheit geriet? Während Aki Kaurismäki allerorten mit dem Prädikat “Kult“ beklebt wird, sind die bis heute 33 Regiearbeiten seines Bruders Mika nur in Finnland greifbar, so auch Helsinki Napoli All Night Long, der im Jahr 1988 sowohl in deutschen Kinos zu sehen war als auch als VHS-Video erschien. Wer als unerschrockener Filmfreund dieses rauen und pointierten Stücks europäischen Independentkinos habhaft werden kann, sollte es sich allemal anschauen.

 

Gute finnische DVD-Edition (2010) von Another World Entertainment ApS im Rahmen ihrer The Mika Kaurismäki Collection, die den Film leider nur letterboxed (4:3) und nicht anamorph (16:9) präsentiert, dafür bildtechnisch solide aufbereitet, mit dem original englischen Ton und optional englischen, finnischen, dänischen, schwedischen oder norwegischen Untertiteln, den Kinotrailer, ein Interview mit dem Regisseur, eine Bildergalerie und eine Kurzbiografie Mika Kaurismäkis als Extras.

 

Neo Noir | 1987 | International | Mika Kaurismäki | Eddie Constantine | Samuel Fuller

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