Frank Lovejoy, Forrest Tucker, Peggie Castle, Timothy Carey, John Cliff
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© Verlag für Filmschriften Christian Unucka
Auf einer Landstraße vor der Stadtgrenze haben sich am 24. Dezember der just aus dem Gefängnis entlassene Ganove Casey Martin (Frank Lovejoy) nebst einem Helfer (Edwin Rochelle) mit ihrem 1946er Packard Clipper de Luxe hinter einem Abzweig verborgen. Als Martin, in Lederjacke und mit einer Schirmmütze auf dem Kopf, einen Lkw nahen hört, nimmt er eine Signalflagge und stellt sich auf die Fahrbahn. Er wedelt mit der Flagge, der Lkw stoppt und sein Fahrer (Ken Terrell) fragt durchs Seitenfenster, was denn los sei. Der Angesprochene zückt eine Pistole und zwingt den Mann auszusteigen, der nun von Martins Kumpel niedergeschlagen und auf die Rückbank des Packards verfrachtet wird. Casey zündet sich eine Zigarette an und verabredet sich mit dem Mitstreiter, der ins Führerhaus des Lkws klettert, für den Abend in der Bar von Louie (Henry Kulky). Er steigt selbst in den Packard zum bewusstlosen Fahrer des geraubten Lasters, ohne zu merken, dass er die leere Packung seiner Pickerel Cigarettes achtlos auf den Asphalt warf… Am Abend betritt er das Etablisment, in dem er sich verabredete, setzt sich hinters Klavier und klimpert. Mancher ist betrunken, mancher traurig, und man wünscht sich „Frohe Weihnachten!“, als Johnny Cooper (John Cliff) und Fred Amory (Charles Maxwell), Agenten des Finanzministeriums, in der Bar erscheinen und Casey Martin verhaften und abführen. Als sie nach kurzer Fahrt in dem von Mr. Burns (Hugh Sanders) geleiteten Büro der Behörde ankommen, schwant Martin nichts Gutes…
Ein Agent des Finanzministeriums bietet dem rückfälligen Gangster Casey Martin, der eine lebenslange Haftstrafe fürchten muss, die Möglichkeit, als verdeckter Ermittler ein Gangstersyndikat auszuspionieren und den Mobster Dutch Becker (Forrest Tucker) ans Messer zu liefern. In solchem Fall würde er straffrei ausgehen und könnte sich im Anschluss ein neues Leben aufbauen. Aber Martin weiß, dass in Anbetracht von Beckers Ruf, der als skrupellos und kalt gilt, seine Chance zu überleben nicht allzu groß ist. Wer hier den Eindruck gewinnt, eine Parallele zu Henry Hathaways Der Todeskuss (USA 1946) herauszulesen, liegt damit richtig. Im neun Jahre zuvor erschienenen, großen Klasssiker des Film Noirs ist es der Tod seiner Ehefrau und das Schicksal seiner Töchter (Marilee Grassini, Iris Mann), die Nick Bianco (Victor Mature) dazu bewegen einzuwilligen. In Schusters Thriller wird Casey Martin durch den Niedergang seiner Schwester Lucille (Evelynne Eaton), die in Händen Dutch Beckers missbraucht und mit Alkohol gefügig gemacht wurde, schlussendlich überzeugt zu kooperieren. Im Übrigen steht Entfesselte Unterwelt in der Nachfolge einer ganzen Reihe von Produktionen des Film Noirs, die ihre Antihelden als Undercover-Agenten in gefährliche Missionen entsandten. In Anthony Manns überschätztem Geheimagent T (USA 1947) ist Dennis O’Keefe in solch einer Rolle zu sehen. In Raoul Walshs grandiosem Sprung in den Tod / Maschinenpistolen (USA 1949) übernimmt sie Edmond O’Brien. Auch William Castles Kokain (USA 1949) und Abby Berlins Mary Ryan, Detective (USA 1949) folgten der bewährten Rezeptur, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Frank Lovejoy ist als Gangster Casey Martin ein impulsiver, großmäuliger, verkrampfter Egoist, nicht sonderlich sympathisch oder gar liebenswert, wie auch die in ihn hemmunglos verliebte Unterwelt-Schönheit Gladys Baker (Peggie Castle) erfahren muss.
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”I don’t know very much about being nice. But for you I’ll try.” Zugleich ist die Romanze zwischen Gladys und Caesey als Kontrapunkt zur harten Gangster-Posse ein Höhepunkt des Films, denn ausgerechnet sie entwickelt sich glaubwürdig. Die Beziehung des Einzelgängers, der sich von Gladys in den Clan Dutch Beckers einschleusen lässt, zu der im Grunde zarten, ehrlichen Frau hinterlässt bei Casey Martin Spuren. Demgegenüber gerät die Entwicklung der Haupthandlung, Martin wird ein Mitglied von Beckers Bande, ungemein zäh und klischeehaft. Dennoch gibt es auch hier Qualitäten, nämlich die Beteiligung der Darsteller Forrest Tucker als Dutch Becker und Timothy Carey als dessen rechte Hand Lou Terpe, die ihre Rollen wunderbar auf den Punkt genau mit Leben füllen. Frank Lovejoy (Aufruhr in Santa Sierra, USA 1950) war ein guter Darsteller, sah sich mit dem Verglühen des Film Noirs ab Mitte der 50er zunehmend auf Nebenrollen in TV-Serien abonniert sah. Mit nur 50 Jahren starb er 1962 an einem Herzinfarkt. Peggie Castle (Der Richter bin ich, USA 1953), die das Fernsehen hasste, erging es kaum besser. Bereits 1966 spielte sie, hoffnungslos dem Alkohol verfallen, ihre letzte TV-Rolle. Sieben Jahre später starb Peggie Castle, die vierfach verheiratet gewesen war, mit 45 Jahren an Leberzirrhose. Ihr gemeinsamer Film Noir Entfesselte Unterwelt ist kein Meisterstück. Aber in ihren Szenen zu zweit entwickeln Castle und Lovejoy eine ebenso dichte wie überzeugende Chemie miteinander.
Unterm Originaltitel Finger Man ist das Werk Teil der 3-Blu-ray-Box Film Noir: The Dark Side Of Cinema XVIII (2024) in der für Kino Lorber bild- und tontechnisch typisch hochwertigen 2K-Restauration, ungekürzt im Originalformat mit original englischem Ton, optional englischen Untertiteln und inklusive eines Audiokommentars vom Filmhistoriker Prof. Dr. Jason A. Ney. Die anderen Filme in der Box sind Lewis R. Fosters Straße des Terrors (USA 1955), der einen Audiokommentar von Alan K. Rode als Extra bietet, sowie William Witneys City Of Shadows (USA 1955) mit Audiokommentar von Gary Gerani.