Straßenbekanntschaft

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Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
****
Originaltitel
Straßenbekanntschaft
Kategorie
Film Noir
Land
GER
Erscheinungsjahr
1948
Darsteller

Gisela Trowe, Alice Treff, Ursula Voß, Siegmar Schneider, Harry Hindemith

Regie
Peter Pewas
Farbe
s/w
Laufzeit
104 min
Bildformat
Vollbild

 


 

 

Berlin, die kriegsversehrte einstige deutsche Hauptstadt im Jahr 1947 unter dem Viermächtestatus: Vom seinem Platz im Café beobachtet, indem er die Gardine beiseiteschiebt, Zeitungsjournalist Walter Helbig (Siegmar Schneider), wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Mann (Arno Paulsen) in Lederjacke aus seinem Kleinlaster Tempo E 200 steigt und die Stufen zum Eingang der Wasch- und Plätt-Anstalt emporgeht, wo er in der Tür von seiner Else (Ursula Friese) umarmt wird. Hier arbeitet auch, wie Walter weiß, die 20-jährige Erika Engelhard (Gisela Strowe) als Plätterin. Kollegin Else fragt sie, wie der neue Freund ihr gefalle, der zwar nicht attraktiv aussähe, aber ein gutes Herz und Zugriff auf begehrte Ware wie Nylonstrümpfe oder auf Kulinarisches wie Koteletts habe. Die beiden wollen heute Abend noch eine Party von Annemie (Alice Treff) und Peter (Hans Klering) besuchen, und sie fragen Erika, ob sie nicht auch hinkommen wolle. Dort lässt man es sich gut gehen, denn es gibt alles, was das Herz begehrt – Leckereien und Alkohol, Zigaretten und Schokolade. Elses Freund betont, dass sein Kompagnon sich geradezu nach ihr verzehre und neckt sie, bevor sie sich zu dritt in den Feierabend begeben und das Ladenlokal verlassen. Als Else und ihr Freund ins Auto steigen, verlässt Walter Helbig das Café und läuft Erika nach. Sie habe ihm doch gesagt, dass sie heute keine Zeit habe, eröffnet sie das Gespräch. Der Journalist, der ihr weder Zigaretten noch ein Schnitzel bieten kann, lässt sich nicht abwimmeln…

 

„Sind wir denn schuld daran.“ – „Natürlich! Ihr habt doch den ganzen Krieg über immer nur von Sieg und von Durchhalten gefaselt.“ Die lebenshungrige Erika Engelhard hat für ihre kleinbürgerlichen, linientreuen Eltern (Marlise Ludwig, Arthur Wiesner) und die kargen Lebensumstände, welche in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Berliner mit Entbehrungen strafen, nur Verachtung übrig. Auf den Festivitäten Annemies und Peters lernt sie schnell, dass es einigen wenigen an nichts mangelt – Pralinen, Schnaps, Zigarren und feines Essen gibt es dort im Überfluss. Doch lassen die Herren des Schwarzmarkts sich ihre Gefälligkeiten bezahlen, vornehmlich mit Liebesdiensten jener Damen, die ihre Geschenke bereitwillig entgegennehmen: „Sie nascht gern… Aber sie weiß noch nicht, dass alle ihre Dinge ihren Preis haben.“ So kommentiert Annemie gegenüber Peter Erikas Gier, als jene bei ihrem ersten Besuch einer Party Heringssalat und Koteletts verschlingt. Also trudelt die 20-jährige Plätterin in die Parallelwelt des Schwarzmarkts und seiner Vergnügungen, verlässt gar ihr Elternhaus, bis sie eines Tages die Rechnung erhält… Peter Pewas entführt seine Zuschauer in eine Sphäre der kriminellen Halbwelt in den späten 40er Jahren, rückt sie aber nicht ins Zentrum seines Films. Journalist Walter Helbig, der als ein privater Ermittler geradezu prädestiniert schiene, fokussiert sich ganz aufs Schicksal der Opfer. Letztere sind durch Geschlechtskrankheiten gekennzeichnet, Gonorrhö und Syphilis, die sich angesichts von Prostitution und Promiskuität in Berlin rasend schnell ausbreiten. So findet Helbigs einziger Kontakt mit einem Polizeibeamten während einer Razzia statt, bei der in einer Kneipe alle Frauen in Gewahrsam genommen und per Lastwagen ins Krankenhaus gebracht, wo sie untersucht und, falls infiziert, zwangsbehandelt werden. Im Unterschied zu Arthur Maria Rabenalts Martina (GER 1949), ebenfalls mit Arno Paulsen und Siegmar Schneider, ist Peter Pewas‘ Drama um die mittellose Erika Engelhard und ihren Fehltritt nur halb ein Film Noir. In Martina (GER 1949) ist die Frau gleichen Namens mit Haut und Haaren in der kriminellen Sphäre versunken; in Straßenbekanntschaft ringt eine verführte Erika zuletzt um die Rückkehr in ein Leben in Würde und mit Zukunft.

 

 

Trotzdem halte ich die Produktion der Deutsche Film AG (DEFA) in jener Frühphase nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext des europäischen Film Noirs für relevant. Vergleichbar mit Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (GER 1946) ist Peter Pewas (Viele kamen vorbei, GER 1955) hier um einen völlig ungeschminkten Blick auf die deutsche Wirklichkeit bemüht. Jeder ist sich selbst der nächste, und es sind Geld und Besitz, welche die Männer für junge Frauen einzig attraktiv werden lassen. Allerorten wird die Doppelmoral offenkundig: dass man in der Fremde als Soldat die Frauen der Feinde sich nahm, ist nicht verwerflich. Dass in der Heimat die Frau mit einem anderen sich die schwere Zeit erträglich machte, bleibt eine Schande. Viele der beteiligten Darsteller agieren wunderbar glaubwürdig – Gisela Trowe, Ursula Voß, Harry Hindemith, Alice Treff und Arno Paulsen sind allesamt erstklassig. Vor allem aber sind es Peter Pewas‘ Regie und Georg Bruckbauers Kameraarbeit, die ein Berlin der Nacht in fein komponierter, expressionistischer Bildsprache einfangen - Signale einer rabenschwarzen Pastiche, die klar in Richtung jenes Filmstils weisen, der seinerzeit vor allem in England und in den USA jene Nachkriegsjahre als die Schwarze Serie bebilderte. Wegen seines im letzten Drittel moralinsauren Tonfalls leider kein Meisterstück ist Straßenbekanntschaft ein allemal sehenswerter Film in der Nachbarschaft zu David MacDonalds Tanz in den Abgrund (UK 1948) und Max Ophüls‘ Caught (USA 1948).

 

Unter dem Titel Peter Pewas – Filme 1932-1967 gibt es via absolut Medien GmbH in dieser fein editierten Werksausgabe des Ausnahmeregisseurs als 2-DVD (2011), darin aus lizenzrechtlichen Gründen der Film Noir Viele kamen vorbei (GER 1955) nicht enthalten ist, eine gut (obgleich nicht brillant) restaurierte Fassung von Straßenbekanntschaft in der ursprünglichen, 104 Minuten langen Fassung, damit ungekürzt und im Originalformat, mit dem original deutschen Ton und (leider) ohne Untertitel. Die 2-DVD enthält neben dem (im Dritten Reich nie aufgeführten) Spielfilm Der verzauberte Tag (GER 1944) zahlreiche Kurzfilme des Regisseurs und im Bonusmaterial ein Interview mit Gisela Trowe (2009) u.a. zu Straßenbekanntschaft. Höchst empfehlenswert!

 


 

Film Noir | 1948 | International | Peter Pewas | Arno Paulsen | Alice Treff | Gisela Trowe

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