Bitterer Reis

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Bewertung
*****
Originaltitel
Riso Amaro
Kategorie
Film Noir
Land
ITA
Erscheinungsjahr
1949
Darsteller

Vittorio Gassmann, Doris Dowling, Sylvana Mangano, Raf Vallone, Checco Rissone

Regie
Giuseppe De Santis
Farbe
s/w
Laufzeit
105 min
Bildformat
Vollbild
 

 

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Am Hauptbahnhof von Turin steht heute Morgen ein Rundfunkjournalist und erklärt seinen Hörern, dass in Norditalien seit 500 Jahren Reis angebaut werde. Jedes Jahr im Mai strömten aus den umliegenden Regionen die Frauen herbei, um für vierzig Tage als Erntehelferinnen auf den Reisfeldern zu arbeiten, wie schon Generationen vor ihnen… Inmitten des gewaltigen Trubels sucht die Polzei indessen einen Juwelendieb namens Walter (Vittorio Gassmann), der in der Nacht zuvor im Grand Hotel Schmuck im Wert von 5 Millionen Lire erbeutet hat. Schon haben sie den Mann in Trenchcoat und Hut erspäht, dem ein Inspektor seine Pistole in den Rücken drückt, indessen Walter die Arme hebt, sich blitzschnell umwendet und seinen Häscher in die Menge zurückstößt. Es gelingt ihm, erneut im unübersichtlichen Gewühl unterzutauchen und seine Komplizin Francesca (Doris Dowling) ausfindig zu machen. Aber das Netz der Polzisten zieht sich immer enger um die beiden. Da erspäht Walter die hübsche Sylvana Meliga (Sylvana Mangano), die zum Jazz aus ihrem tragbaren Plattenspieler ein Solotänzchen aufführt. Er schnappt sich einen Strohhut und tanzt mit ihr. Bei einer flotten Drehung geht Walters Tarnung verloren. Der Polizeibeamte sieht es und feuert einen Schuss in die Luft, so dass die Menge auseinander läuft. Francesca packt ihren Koffer und verschwindet im Zug der Erntehelferinnen, wie mit Walter verabredet. Doch Sylvana, die die beiden beobachtete, hat Verdacht geschöpft und heftet sich an ihre Fersen…
 
“Vivo morendo in caserma non in tempo di guerra ma in tempo di vita“, schreibt der kurz vor seiner Entlassung stehende Sergente Marco Valli (Raf Vallone) an eine Backsteinmauer, als die Erntehelferinnen in Scharen ihren Einzug halten. Sinngemäß: „In der Kaserne haust der langsame Tod nicht in Zeiten des Krieges sondern in Zeiten des Lebens.“ Allemal wird mancher sich wundern, was dieses Paradebeispiel italienischen Neorealismus‘ in einem Portal für und über den Film Noir zu suchen hat. Seit Generationen verorten die Filmhistoriker und Kulturjournalisten Bitterer Reis in der Nachbarschaft von Luchino Viscontis Die Erde bebt (ITA 1948), Roberto Rosselinis Stromboli (ITA 1949) und Vittorio De Sicas Fahrraddiebe (ITA 1948) und zwar zu Recht. Doch weist neben Schauplätzen zwischen Landschaftsromantik und Fronarbeit sowie einem Gesellschaftsportrait, das explizit relevant sein will, die Geschichte der vier zentralen Charaktere in ihrem Kontext als Kinoerleben darüber hinaus. “Despite its Communist rhetoric and working class woes, Bitter Rice is essentially a hot blooded film noir“, urteilt Richard Stracke für Examiner.com und The Professor analysiert für Where Danger Lives: “The character types in Bitter Rice offer its most intentional parallel to film noir (…) Each of the four represent a noir archetype.” Es lässt sich hinzufügen: Besonders in den Nachtaufnahmen und im Verlauf des grandiosen Finales ist Otello Martellis Kameraarbeit nicht nur kunstvoll sondern bewusst artifiziell und nutzt die Möglichkeiten der Gestaltung des Filmraums als Kunstwelt voll und ganz zum Vorteil des Werks.
 
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Regisseur Giuseppe De Santis war als Autor an Ossessione - Von Liebe besessen / Besessenheit (ITA 1943) beteiligt, Luchino Viscontis Debüt und Startschuss des Neorealismus‘, nach James M.Cains Roman Die Rechnung ohne den Wirt  (EA 1934), dessen Verfilmung als The Postman Always Rings Twice (USA 1946) zum Kernbestand klassischen Film Noirs gerechnet werden darf. Die vier in Bitterer Reis in komplexe Händel aus Verbrechen, Liebe, Treue, Verrat eingesponnenen Rollencharaktere - zwei Männer und zwei Frauen - erinnern im wechselvollen Verlauf der Handlung an vergleichbare Konstellationen in Marcel Carnés Der Tag bricht an (FRA 1939) und in Anthony Manns Flucht ohne Ausweg (USA 1948). Wie der Film Noir war der Neorelismus vom französischen Poetischen Realismus der Vorkriegsjahre beeinflusst. Seinerzeit war Bitterer Reis der Durchbruch für die ursprünglich als Dritte genannte Sylvana Mangano in einer Schlüsselrolle. Für mich ist er jedoch die Sternstunde der zu Unrecht vergessenen US-Amerikanerin Doris Dowling (Die blaue Dahlie, USA 1946) und Vittorio Gassmanns (Die gläserne Mauer, USA 1953), die beide grandioses Schauspiel bieten. Insgesamt ist die Darstellungskunst auf hohem Niveau angesiedelt, demgemäß erweisen sich die Charaktere als glaubwürdig und facettenreich. Finale und Schluss krönen einen Film, der mit einer hoch dynamischen Sequenz beginnt und den Zuschauer über die Strecke von 104 Minuten voll in seinen Bann schlägt. Giuseppe De Santis schuf in den 50er Jahren noch einige Filme, die jedoch eher Kritikererfolge blieben. Weder für den Film Noir noch für den Neorealismus erwies sich das politische Klima zu Beginn des Kalten Krieges als förderlich, beide endeten in den 50er Jahren. Bitterer Reis bleibt ein Meilenstein des italienischen Kinos und sei hiermit auch Freunden des Film Noirs ans Herz gelegt.
 
Der Film erschien als italienische DVD (2009) von CG Home Video SRL mit dem italienischen Originalton plus optional englischer oder italienischer Untertitel, ungekürzt im Originalformat, bildtechnisch exzellent restauriert, mit reihenweise Extras wie z.B. dem Kinotrailer, Fotogalerien sowie diversen Dokumentationen auf Italienisch. In Deutschland veröffentlichte der Filmverlag Fernsehjuwelen Bitterer Reis als DVD (2015) mit einer Laufzeit von lediglich 96 Minuten, also um ganze 9 Minuten (!) gekürzt, und mit ausschließlich der deutschen Kinosynchronisation versehen, folglich ohne Originalton und ohne Untertitel, zudem mit einem "Trailer" als Extra, der nicht mal der originale Kinotrailer ist. Es bleibt ein Rätsel, wie man die Veröffentlichung eines europäischen Filmklassikers derart vermasseln kann.
 

 

Film Noir | 1949 | International | Giuseppe De Santis | Raf Vallone | Vittorio Gassman | Doris Dowling

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