V.I. Warshawski – Detektiv in Seidenstrümpfen

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Bewertung
***
Originaltitel
V.I. Warshawski
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1991
Darsteller

Kathleen Turner, Jay O. Sanders, Charles Durning, Angela Goethals, Nancy Paul

Regie
Jeff Kanew
Farbe
Farbe
Laufzeit
89 min
Bildformat
Widescreen

 


 

 

Chicago, Illinois: Die alleinstehende Privatdetektivin V. I. Warshawski (Kathleen Turner) steigt frühmorgens aus dem Bett, kramt einige Sportklamotten zusammen und joggt ohne Frühstück eine Runde durch die eben zum Leben erwachte Metropole. Später hat sie in hochhackigen Pumps und im Kostüm einen Ortstermin in einer Wurstfabrik, dessen Geschäftsführer Mickey (Stephen Root) sie bevorzugt als Spionin bei einem Konkurrenten namens Schlivitz einsetzen will. Es ist Abend, als V.I. Warshawski ihren Wagen, einen verbeulten 1973-er Plymouth Duster, vor der Golden Glow Cocktail Lounge parkt. Kaum am Tresen angelangt, wo ihre Freundin Sal (Lynnie Godfrey) die Cocktails mixt und Drinks ausgibt, macht sie ihr klar, dass es sich um einen Notfall handele. Sie haben das lukrative Angebot eines Wurstfabrikanten, der ihr 5000 US-Dollar wöchentlich bezahlt hätte, ausgeschlagen und brauche jetzt die Box. Letztere ist ein Schuhkarton, den ihr Sal erst nicht aushändigen will, bei einem Whiskey, den sie sich gemeinsam genehmigen, es aber doch tut. Die Detektivin, von Freunden Vicky gerufen, gesteht, dass sie wieder mal an ihrem ex-Freund Murray Ryerson (Jay O. Sanders) verzweifle, den sie heute Morgen mit einer Rothaarigen im Bett ertappt habe. Dann zieht sie sich ihre mit roten Pailetten besetzten Pumps an, die in dem Karton lagen. Im gleichen Moment erblickt sie Bernard Grafalk (Stephen Meadows), ehemals Eishockeyprofi bei den Chicago Blackhawks, der suchenden Blicks zur Tür hereinkommt…

 

„Der Neo-Noir bringt (…) zunehmend eine feministische Perspektive in Noir-Rollen (…) Frauen übernehmen die Verhaltensweisen, die im klassischen Film Noir Männern zugeschrieben werden: (…) In der Sara-Paretsky-Adaption V.I. Warshawski (1991, Jeff Kanew) geht eine Privatdetektivin auf Verbrecherjagd“, reflektiert die Journalistin Sonja Hartl im vierten Teil ihrer Artikelserie Der Film Noir: Entwicklung und Abweichung (EA 2016). Das ist so allemal richtig. Zugleich lohnt sich ein zweiter Blick auf den klassischen Film Noir. Schon in den 40-er Jahren war es Frauen vergönnt, Rollenklischees ihrer Zeit zu konterkarieren. In Robert Siodmaks Cornell-Woolrich-Adaption Zeuge gesucht (USA 1944) ist Carol Richman (Ella Raines) eine weibliche Amateur-Detektivin, die den wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft befindlichen Scott Henderson (Alan Curtis) schließlich rettet. Beverly Garland porträtierte in der TV-Serie Decoy (USA 1957-1958) die zentrale Figur namens Patricia Jones, eine “Police Woman“, die als verdeckte Ermittlerin tätig wird und ihre Fälle selbst löst. Der Privatdetektiv war meist männlich und oft ein “Tough Guy“. Eine Ausnahme bildete Belinda Prentice (Adele Mara) in George Blairs Exposed (USA 1947), die im Verlauf des Films jedoch wieder auf ihre Frauenrolle in der US-Gesellschaft der 40-er zurechtgestutzt wird. Demgegenüber ist V.I. Warshawski in den ersten sechs Romanen (1982 bis 1990) von Sara Paretsky aus einem anderen Holz geschnitzt. Genau das war die Absicht der Autorin, als sie mit ihrem Debütroman Indemnity Only (EA 1982, auf Deutsch 1986 als Schadenersatz) einen Widerpart zu all den hartgesottenen Männern der Kriminalliteratur präsentierte. Leider setzen Edward Taylor und David Aaron, die Verfasser des Drehbuchs, ihren Ansatz nicht um, sondern präsentieren die Privatdetektivin als skurilen Kauz. Kathleen Turners V.I. Warshawski geht in einer Serie von Klischees über die alleinstehende Frau in einer Männerdomäne unter – so wie die zuvor von Adele Mara und von Pam Grier porträtierten weiblichen Private Eyes in Exposed (USA 1947) und in Sheba, Baby (USA 1975). 

 

“While V.I. Warshawski (1991) talks tough, still she captures the most attention from her red high heels and sexy legs”, konstatiert William Covey in seinem Artikel Girl Power: Female Centered Neo-Noir (EA 1999), geht auf den Film im Übrigen nicht weiter ein. Letzteres ist kaum verwunderlich. V.I. Warshawski – Detektiv in Seidenstrümpfen, der saudämliche deutsche Zweittitel sagt alles, hätte ein klasse Neo Noir sein können, ist es aber nicht. Streckenweise scheint er keinen Steinwurf davon entfernt. Dann jedoch bringen Taylor-Aaron-Kanew, das männliche Trio für Drehbuch und Regie, ihren klischeebefrachteten Humor zum Tragen und lassen V.I. Warshawski durch Situationen von abgedroschener Komik stolpern, die weder zur Figur noch zur Geschichte passen. Das ist bedauerlich. Denn das Werk, seinerzeit ein Riesenflop an der Kinokasse, zeigt auch in seinen Dialogen – "This is Chicago: now everybody knows everything, but nobody knows nothin'.” – mitunter Potential und ist streckenweise unterhaltsam. Aber so unstet Konzept und Inszenierung, so unstet sind die Leistungen der Darstellerinnen und Darsteller. Kathleen Turner und Angela Goethals sind teils fulminant. Nancy Paul und Charles McCaughan fallen so deutlich ab, dass es vor allem im Finale kaum nachvollziehbar ist. Fazit: Nicht so übel, wie von Kritikern behauptet, aber nicht ansatzweise der Neo Noir, welcher der Film hätte werden können.

 

Unter dem Titel V.I. Warshawski – Diese Frau steht ihren Mann, für Sara Paretsky mit Sicherheit ein Alptraum von Etikett, gibt es eine gute deutsche DVD-Edition (2003) der Touchstone Pictures, bildtechnisch topp und ungekürzt im Originalformat mit Tonspuren auf Deutsch, Englisch und Italienisch sowie Untertiteln in genau den Sprachen, das Ganze ohne Extras. Eine in den USA via Kino Lorber veröffentlichte BD (2018) ist bildtechnisch nochmals überlegen, in Deutschland aber kaum erhältlich, hier gibt es einen Audiokommentar und den US-Kinotrailer als Bonus-Features. Eine erste BD-Edition (2011) kam in den USA bereits bei Mill Creek Entertainment heraus; zudem finden sich in Europa verschiedene DVD-Ausgaben mit original englischer Tonspur und z.T. mit englischen UT.

 


Neo Noir | 1991 | USA | Jeff Kanew | Charles Durning | Jay O. Sanders | Kathleen Turner

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