Juror #2

© Warner Bros.

Savannah, Georgia: In der mittelgroßen Metropole des US-amerikanischen Südens überrascht der Journalist für Lifestyle-Magazine Justin Kemp (Nicholas Hoult) seine schwangere Freundin Allison Crewson (Zoey Deutch) heute mit dem fertig eingerichteten Kinderzimmer für ihr gemeinsames Baby. Allison und Justin geben für Freunde und Nachbarn eine Gartenparty, bei der sie sich für deren Unterstützung bedanken und öffentlich ihre Liebe füreinander verkünden. Stets ist Justin auch Mitglied in der Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker unter Leitung des Rechtsanwalts Larry Lasker (Kiefer Sutherland), die ihn in seinem Leben wieder stabilisieren helfen soll. Als sie in ihrer Küche beisammenstehen, greift Allison sich die per Post an Justin Kemp gesandte Aufforderung, sich am Montag, den 26. Oktober, im Chatham County Courthouse als möglicher Juror in einem Gerichtsprozess einzufinden. Das Paar ist darüber nicht glücklich, aber Kemp kann der Sache nicht entwischen. Er verspricht Allison aber sich bei Befragung für die Zusammensetzung der Jury aus der Affäre zu ziehen. Also fährt der junge Mann am kommenden, sonnenüberstrahlten Morgen zum Gerichtsgebäude, wo Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) auf dem Parkplatz mit ihrer Wahlhelferin telefoniert und ihr erklärt, dass genau dieser anstehende Mordprozess Teil ihres Wahlkampfes werde. James Michael Sythe (Gabriel Basso) sei ein hoch gefährlicher Krimineller, und wenn sie ihn verurteilt bekäme, würde sie auch die Wahl sicher gewinnen…

“We're only as sick as our secrets.” Im Jahr 1971 drehte der seit 1955 als Schauspieler aktive Clint Eastwood mit dem Psychothriller Sadistico (USA 1971) seinen ersten Film als Regisseur. In folgenden Jahrzehnten war er fast ebenso oft vor wie hinter der Kamera aktiv. Der Western Erbarmungslos (USA 1992), das Liebesdrama Die Brücken am Fluss (USA 1995) und der Neo Noir Mystic River (USA/AUS 2003) sicherten ihm beim Publikum und bei der Kritik Achtung und Respekt. Doch Regisseur Eastwood bewies nicht immer eine sichere Hand und brachte auch rundum missglückte Werke wie Space Cowboys (USA 2000) oder 15:17 To Paris (USA 2018) ins Kino. Überwiegend bewies er bei 40 Filmen in über 50 Jahren allerdings Qualität; beizeiten war er exzellent. Mit Juror #2 griff er auf ein Drehbuch von Jonathan A. Abrams zurück, das 15 Jahre in einer Schublade ruhend Staub angesetzt hatte und nicht verfilmt worden war. Und diesmal hatte er einen guten Riecher. Die Geschichte um den Journalisten Justin Kemp, der unwissentlich Fahrerflucht beging und zufällig Mitglied einer Jury wird, die in dem Gerichtsprozess gegen den Angeklagten James Michael Sythe über dessen Schuld hinsichtlich der Ermordung seiner Freundin Kendall Carter (Francesca Eastwood) ein Urteil fällen muss, wird für den ex-Alkoholiker und werdenden Vater Kemp zur Tour de force. Am ersten Prozesstag wird ihm klar, dass er selbst vor einem Jahr bei strömendem Regen und bei Nacht die Fußgängering Kendall Carter anfuhr und über die Brüstung einer Brücke in den Tod beförderte. Davon ausgehend, dass er ein Reh verletzt habe, hatte er sich vom Tatort entfernt, ohne der Sache weiter Beachtung zu schenken. Nun stellt er fest, dass er eine schwere Schuld auf sich lud, andererseits aber nicht mit der Wahrheit rausrücken kann… Der zum Zeitpunkt des Drehs 93-jährige Clint Eastwood lässt sich bei diesem Stoff nicht die Butter vom Brot nehmen und präsentiert mit Juror #2 ein Gerichtsdrama und einen Neo Noir geprägt von tiefen Einblicken in Abgründe der bürgerlichen Kultur westlicher Prägung, zugleich voller Zwischentöne und auch Härten.

”And now you’re a….“ – ”What? I’m a what?” – “You’re a politician.” Spannend ist hier nicht nur der Gewissenskonflikt Justin Kemps, nachdem er verstehen musste, dass ein Geständnis von ihm as ex-Alkoholiker, der nachts allein aus einer Bar kommend nach Hause fährt, als Mord ausgelegt würde und sein Leben als Familienvater zerstörte. Spannend ist zu beobachten, wie Staatsanwältin Faith Killebrew, die gegen den Pflichtverteidiger Eric Resnick (Chris Messina) ins Rennen geht und den Fall als Sprungbrett in die Politik sieht, langsam dämmert, dass ihre Indizienkette und Beweisführung wider James Michael Sythe auf tönernen Füßen steht und sich in jener regnerischen Nacht womöglich etwas anderes zutrug… Die Darsteller zeigen sich hoch engagiert,  die Dramaturgie ist pointiert, und die Kameraarbeit Yves Bélangers tut ein Übriges. So komme ich wieder auf meine Einleitung zurück. Hat im November 2024 irgendjemand von Clint Eastwoods Juror #2 Notiz genommen? Wohl kaum... Fast ohne Werbeaufwand brachte Warner Bros. das Werk ins Kino, von dort verschwand es in den Streaming-Plattformen. Erst als es 2025 für mehrere Filmpreise nominiert wurde und auf mehreren Best-of-Listen von Filmjournalisten aufgetaucht war, dämmerte dem Studio, dass es sich um eine Perle handeln könnte. Nur knapp schrammt die Produktion an der Oberklasse vorbei, ist sie doch beizeiten etwas statisch und dialoglastig. Trotzdem lohnt sich der Film, der als ein lebenssattes, dunkles Stück Erzählkino sich vom Blockbuster-Trash der Gegenwart mehr als wohltuend abhebt und feine Rollencharaktere zu zeichnen weiß.

Die stiefmütterliche Behandlung des Films seitens des Studios spiegelt sich in der Veröffentlichung für den Heimkino-Markt. Von Juror #2 gibt es eine US-amerikanische Blu-ray disc und DVD (RC 1, 2025) sowie eine britische und australische Blu-ray disc (RC4 oder RC 2, 2025) und das war‘s. Darauf erscheint der Film bild- und tontechnisch exzellent, ungekürzt und im Originalformat mit Tonspuren (und mit Untertiteln) auf Englisch und Spanisch. Bei der britischen BD finden sich auch Untertitel auf Niederländisch, Französisch, Italienisch. Extras gibt es keine.